Im Gespräch mit Jo-Alma Potter JDPSN (2018)

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Im Februar 2018 wurde Jo-Alma Potter von der Österreichischen Buddhistischen Religionsgemeinschaft (ÖBR) interviewt.

Wie bist du auf den Dharma-Pfad gekommen?

Auf dem Dharma-Pfad zu gehen ist eine sich ständig ändernde Entscheidung von Moment zu Moment. Die Frage, die zur Suche dieses Dharma-Pfades geführt hatte, veränderte sich im Laufe meines Lebens – die Worte haben sich geändert, aber niemals ihre Richtung und Intensität. Als ich 12 Jahre alt war, wurde mir durch den Tod meiner Mutter die Frage gestellt: Was passiert mit uns, nachdem wir unsere Körper verlassen? Diese Frage erzeugte in mir eine Art von Unruhe und einen Zustand, in dem mein Geist diese Frage immer wiederholte. Mit 17 ermutigte mich eine wunderbare High-School-Lehrerin, meine persönliche Meditationspraxis zu beginnen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich jeden Tag nach der Schule nach Hause kam, und bevor ich mit den Hausaufgaben begann, meine Augen schloss und tief untersuchte, was oder wer da saß und was war Meditation? Jetzt – 47 Jahre später – wache ich morgens auf, und das tägliche Leben taucht auf, ich putze meine Zähne, trinke Tee, gehe in den Dharma-Raum und alles, was der Tag bringt, ist der Beginn des Dharma-Pfades.

Was ist das Spezielle an der Kwan Um Schule?

Zen deutet immer genau auf diesen Moment, und so ist die Zen-Praxis die natürlichste und innigste Interaktion mit dem Leben – aber nichts Besonderes. Eines der wirklich großartigen Dinge in der Kwan Um Zen Schule ist, dass der Fokus des Erwachens auf dem Individuum liegt und nicht auf einem Lehrer oder einer Lehrerin. Wir praktizieren mit 14 Lehrerinnen und Lehrern in Europa, 20 in den USA und 10 in Asien. Diese Lehrerinnen und Lehrer rotieren regelmäßig in den 100 oder mehr Zen-Zentren weltweit. Zen-Meister Seung Sahn ermutigte viele verschiedene Lehrstile, um viele verschiedene Karmas zu erreichen. Als ich meine Praxis in der Kwan Um Zen Schule begann, hatte ich einen Lehrer für ungefähr 3 Jahre. Danach erschienen weitere Lehrerinnen und Lehrer. Jeder Lehrer und jede Lehrerin war so wertvoll und notwendig. Indem sich Schüler und Schülerinnen nicht an einen einzigen Lehrer oder eine einzige Lehrerin binden, beginnen sie, ein sehr starkes Zentrum zu entwickeln und das Vertrauen in sich selbst auszubilden. Schlussendlich erwachen wir jedoch zum wahren Lehrer, zur wahren Lehrerin: er oder sie ist immer genau vor uns. Im Mittelpunkt unserer Dharma-Aktivitäten stehen Zen-Retreats. Wir nehmen regelmäßig an Retreats teil – lang und kurz, und gleichzeitig genießen wir Zeiten der Leichtigkeit, teilen unser Leben miteinander, finden Wege, einander und unserem Planeten zu helfen. Unsere Praxis in der Kwan Um Zen Schule wird von einem Geist geleitet, der „nicht weiß“ und der klar ist wie der blaue Himmel an einem wolkenlosen Tag. Die Richtung, die wir unserer Praxis geben, ist die Kultivierung eines Geistes, der ohne Urteil oder Anhaftung an das konzeptuelle Verstehen oder an die persönliche Meinung fest im Moment bleibt, bereit zu helfen. Ein Geist, der offenherzig und wach in den sich ständig verändernden Momenten unseres Lebens, unsere Funktion und Beziehung zu jenen Situationen, die das Leben uns stellt, direkt wahrnimmt. Wir verwenden fünf primäre Meditationstechniken: Meditation im Sitzen, Gehen, Rezitation, Verbeugungen und Kong-an (Jap: Koan)-Praxis.

Was sind Fragen, die Dir Deine Schülerinnen und Schüler häufig stellen?

Die am häufigsten gestellten Fragen sind: „Ich weiß nicht, was ich tun soll! Kann mir Zen helfen herauszufinden, ob das, was ich tue, richtig ist?“ oder „Ich fühle mich verloren und frage mich, ob Zen mir zeigen kann, was ich mit meinem Leben anfangen soll?“ Häufig wird auch die Frage gestellt: „Wenn ich genug Zen praktiziere, werde ich eines Tages keine starken Emotionen wie Angst, Hilflosigkeit, Eifersucht erleiden müssen?“ Oder „Wie kann ich anderen, die leiden, am besten helfen?“ Viele Fragen deuten darauf, den Unterschied zwischen richtig und falsch, gut und
schlecht, fair und unfair zu erkennen.

Gibt es Fragen, die Du Dir von Deinen Schülerinnen und Schülern wünschen würdest?

Jeder Schüler und jede Schülerin hat ein einzigartiges Leben und eine Reihe von Lebensbedingungen, und jede Frage, die sie stellen, ist faszinierend! Wenn man auf die Situation jedes einzelnen Schülers und jeder einzelnen Schülerin achtet, ist einfach kein Platz mehr für irgendeinen Wunsch übrig.

Wir hatten vor einigen Monaten Debatten zum Thema gendergerechte Schreibweise. Was meinst Du dazu?

In Europa – im Gegensatz zu den USA – erleben wir so viele Sprachen, und jede Sprache ist Ausdruck des konditionierten politischen, religiösen, erzieherischen und sozialen Hintergrunds eines jeden Landes. In einem Land, in dem ich unterrichten durfte, bestand die gesamte Sangha – Männer wie auch Frauen – darauf, den Buddha als männlich zu bezeichnen, obwohl sich die Rezitation nicht auf den historischen Buddha bezog, sondern auf unsere Buddha-Natur. Jede Situation ist anders. Es ist wichtig, die Situation aufmerksam zu beobachten und ihr zu folgen. Jeder Moment ist neu, jede Situation erfordert eine neue Sichtweise – frei von früheren Meinungen oder Ideen. Manchmal beziehen wir uns auf das Geschlecht, manchmal hat das Geschlecht keine Bedeutung. Wer oder was wird den Tod konfrontieren, wenn dieser Moment kommt?

Hast Du eine spezielle Botschaft an die ÖBR und die Buddhistinnen und Buddhisten in Österreich?

Eine unserer wichtigsten Lehren ist das „gemeinsame Tun“ – das heißt lernen, Seite an Seite miteinander zu arbeiten, einander zu helfen, sich zu kümmern, zu meditieren, zu rezitieren und sich zu verbeugen. Wir lassen die Bindungen an unsere persönlichen Meinungen, Ideen, Konzepte und Wünsche los. Gleichzeitig ist jeder oder jede Person – ob Mitglied unserer Schule oder der ÖBR – auch ein Individuum mit einem tiefen persönlichen Verantwortungsgefühl gegenüber dem Dharma und der Linderung des Leidens auf unserer Erde. Zusammengefasst kann man sagen:
„Wach auf und hilf allen Lebewesen!“

Gibt es etwas, was du unseren Leserinnen und Lesern noch sagen möchtest?

Wenn wir gemeinsam Hand in Hand, durch gute und die schwierigen Zeiten gehen, wird unser Leben sinnvoll und offenherzig. Dadurch kommt wirkliche Stärke zustande. Können wir unser Leben voll und ganz leben, zu jedem Moment erwachen und jeden Moment feiern?

Vielen Dank.