Dharma-Rede & Beantwortung der Fragen nach dem Zen-Tag am 28. Januar 2025 in Wien
Vielen Dank an alle für die gemeinsame Praxis! Die erste Frage betraf das Erreichen einer starken Konzentration. Dabei geht es um Energie, die wir scheinbar erzeugen, denn nach einem Retreat fühlen wir uns oft voller Energie. Wir hören, riechen, schmecken, sehen und fühlen anders als zuvor. Doch dieser Energiepool ist immer vorhanden, egal ob wir formell praktizieren oder nicht. Die formelle Praxis hilft uns nur dabei, uns mit dieser Energie zu verbinden, sei es durch Sitzen, Verbeugen oder Chanten. Und auch Menschen, die nicht in einer buddhistischen oder meditativen Tradition praktizieren, haben eine Quelle der Verbundenheit, aus der sie Energie schöpfen. Wenn diese Energie erscheint, gefällt das praktisch jedem. Das formelle Praktizieren ist vielleicht nicht so beliebt, zum Beispiel das Sitzen an sich. Manchmal schmerzen die Knie, es tauchen Gefühle auf und dann kommen Gedanken zu diesen Gefühlen hinzu. Dann kommt vielleicht Langeweile hinzu oder noch mehr Gefühle zu diesen Gedanken, und so weiter und so fort. Aber wenn diese Energie auftaucht, gefällt sie so gut wie jedem. Das lässt sich auch gut bemerken, wenn wir älter werden. Ältere Menschen verstehen, dass Kinder besonders viel Energie haben. Manchmal entsteht dann ein Verlangen, diese Energie wiederzuerlangen. Das kann auch in unserer Praxis passieren. Können wir weder an einer starken noch an einer schwachen Energie festhalten?
Der zweite Teil der Frage betraf den großen Zweifel und den Glauben an uns selbst. Großer Zweifel und der wahre Glaube an „uns selbst“ hängen untrennbar zusammen. Zen-Meister Huangpo hat gesagt, Du musst selbst wissen, ob das Wasser heiß oder kalt ist. Es geht nicht um äußere Worte und Lehrreden, sondern um unsere eigene Erfahrung. Können wir diese Welt wie mit der Neugier eines Kindes begegnen? Ohne festgefahrene Vorstellungen und unser gewohntes analytisches Denken – ganz offen und ehrlich fragen, erforschen, was dahinterliegt. Was bewegt uns wirklich? Woher kommen wir? Wohin gehen wir, wenn wir eines Tages gehen? Worum geht es überhaupt? Warum sitzen wir? Warum praktizieren wir? Ist das nur für mich? Ohne dabei nach einer analytischen Antwort zu suchen noch uns in solchen Gedanken verlieren. Ohne die Stimme in unserem Kopf, die ständig Kommentare abgibt, wie „Das ist das Ergebnis, wenn ich die beiden Teile zusammenfüge“. Denn der Buddha hat seine Erleuchtung nicht durch analytisches Denken erlangt. Sein Geist vor dem Denken hat diese große Frage gelöst. Können wir zu diesem Geist vor dem Denken zurückzukehren und alles hinterfragen, sogar das Hinterfragen selbst. Aus dieser großen Unsicherheit entsteht wahrer Glaube in diesen Moment – ein Glaube in unser „wahres Selbst“.
Wir haben also üben den großen Zweifel bzw. die große Unsicherheit gesprochen und über große Konzentration. Es gibt noch zwei weitere Punkte die wichtig sind: Der eine ist der große Mut. Wenn wir in uns hineinsehen, gefällt uns normalerweise nicht, was wir sehen. Also neigen wir dazu, davonzulaufen, weil es uns nicht gefällt. Es ist eine natürliche menschliche Reaktion, wegzulaufen, wenn uns etwas Angst macht. Wir laufen weg. Wichtig ist, ehrlich und aufrichtig zu uns selbst zu sein. Schauen, zuhören und wahrnehmen. Nutze alles, was kommt. Gib nicht auf. Zen-Meister Wu Bong hat immer auf die Frage „Was ist das Wichtigste?” geantwortet: „Das Wichtigste ist, es immer wieder zu versuchen.” Wir mögen oft nicht, was wir sehen, wenn wir nach innen schauen. Niemand mag das. Manchmal nennen wir das auch „Karma“. So gut wie niemand mag sein Karma anschauen. Manchmal sind es vergangene Erinnerungen, traumatische Erlebnisse oder alte Gewohnheiten. Wie auch immer wir es nennen, es ist nicht angenehm. So oder so, wir sehen es nicht gerne. Deshalb neigen wir dazu, die Bereitschaft zu verlieren, es weiter zu versuchen. Gedanken wie diese kommen auf: „Ich will nicht darüber nachdenken. Vergiss es! Was mache ich hier eigentlich? Genau deshalb ist es so wichtig, diesen Versuchsgeist zu bewahren.
In Verbindung mit der Neugier, herauszufinden und zu sehen, wächst dieser Mut von selbst. Er ist nicht etwas, das man injizieren kann. Er wird nicht einfach so auftauchen – er kommt mit dem Versuchen. Es gibt also diese drei Punkte, über die wir bereits gesprochen haben: großer Zweifel, große Konzentration und großer Mut. Und dann gibt es noch einen vierten Punkt: Halte nicht an Vorlieben und Abneigungen fest. Wenn wir zum Beispiel eine Abneigung empfinden, können wir weder versuchen, sie zu unterdrücken, noch ihr nachzulaufen? So dass sie weder uns kontrolliert noch wir versuchen sie zu kontrollieren? Halte an keiner Art von Energie fest. Vielleicht taucht beim Praktizieren eine starke Energie auf, die wir mögen. Dann kommt vielleicht der Gedanke: „Oh, ich werde ab jetzt jeden Tag immer vier Stunden lang formell praktizieren.” Nimm diesen Gedanken wahr, aber klammere nicht an diesem Bild – halte an keinem Bild fest. Meist gehen damit Urteile einher. Ein gutes Gefühl taucht auf und wir denken, es müsse der richtige Weg sein. Ein schlechtes Gefühl taucht auf und wir denken, es müsse der falsche Weg sein. Wenn wir uns nicht an ein gutes oder schlechtes Gefühl binden, können wir einfach handeln – einfach nur tun. Wir nutzen alles, was kommt – manchmal kommt ein Drama – dann nutzen wir dieses Drama.
Das ist ein bisschen wie eine viersaitige Gitarre. Diese vier Saiten: Praxis, Frage, Mut und Nicht-Anhaftung. Ein guter Gitarrist merkt, wenn eine der Saiten verstimmt ist, und hört dann auf zu spielen. Er stimmt sie neu, vielleicht um einen Halb- oder Ganzton. Manchmal kann es auch passieren, dass eine Saite reißt, weil sie überdehnt wurde. Dann muss die gesamte Saite gewechselt werden. Doch dann ist sie wieder gestimmt. Dafür brauchen wir Achtsamkeit und die Fähigkeit, zuzuhören. Wir müssen zuhören. Oh, diese vier Saiten sind verstimmt. Was ist los? Vielleicht gibt es nicht genug Praxisenergie. Dann stimme sie neu. Bin ich nicht ehrlich mit mir selbst und möchte manche Fragen gar nicht an mich heranlassen? Vielleicht muss die Mut-Saite neu gestimmt werden. Oder ist alles nur ein seichtes Spiel für mich? Dann muss vielleicht die Saite der Fragen neu gestimmt werden. Sehr oft halten wir an unseren Vorlieben und Abneigungen fest – dann stimme die Nicht-Anhaftungssaite neu.
Wenn diese Aufmerksamkeit da ist und auf all die Klänge hört, werden sie zu einer guten, hilfreichen Melodie für diese Welt – ganz von selbst. Dann ist diese Melodie nicht nur für uns bestimmt. Eine weitere Sache, die ich erwähnen möchte, ist, mitfühlend mit sich selbst zu sein. Dränge dich nicht. Nur wenn wir Mitgefühl für uns selbst haben, können wie es auch anderen weitergeben. Wenn wir kein Mitgefühl für uns selbst haben, können wir es unmöglich jemand anderem geben, oder? Dann können wir es niemandem geben.
Nutze diese viersaitige Gitarre, um anderen zu helfen – es wird eine gute Melodie werden. Ich danke euch allen für das gemeinsame Praktizieren. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder, um wieder gemeinsam zu praktizieren. Danke.